Unerhört hohe Mieten, Mangel an bezahlbaren Wohnungen und Verdrängung sind in Tübingen bekannte Probleme, die sich immer weiter verschärfen. Ein Beispiel, welches uns dies besonders drastisch vor Augen führt, ist der Verkauf des Hauses ‚Bäckerei Fischer‘ in der Südstadt. Die vorgenommene Unterteilung in zwei Haushälften und der wiederholte schnelle Weiterverkauf des Hauses zum fast doppelten Preis setzen eine schwindelerregende Preisspirale nach oben in Gang. Öffentlicher Druck und Protest sowie plausible Angebote, das Haus an einen gemeinwohlorientierten Akteur zu verkaufen, konnten dies nicht verhindern.

Hätte der Fall des Hauses ,Bäckerei Fischer‘ verhindert oder verzögert werden können?

In Tübingen werden bereits zahlreiche städtebauliche Instrumente wie Konzeptvergabeverfahren, Zweckentfremdungssatzungen bei Leerstand und Ferienwohnungen angewandt, um Mietsteigerungen und Verdrängungseffekte zu begrenzen. Für Fälle wie den Verkauf von Wohngebäuden und die Umwandlung in Teileigentum sind diese Instrumente nicht geeignet. Das hierzu zentrale und auf Landes- und Bundesebene in Teilen umkämpfte städtebauliche Instrument zur Verlangsamung von Verdrängung durch bauliche Aufwertung, Abriss oder Nutzungsänderung ist die soziale Erhaltungssatzung, auch Milieuschutzsatzung genannt, nach §172 BauGB. Die Milieuschutzsatzung wird in Tübingen bislang nicht umgesetzt. Die Tübinger Bauverwaltung schätzte die Umsetzung der Milieuschutzsatzung zunächst skeptisch ein.

Auf unseren politischen Druck und Anträge der Gemeinderatsfraktionen Linke und SPD zu den Stadtteilen Waldhäuser Ost und Südstadt hin hat der Tübinger Planungsausschuss im Dezember 2022 nun zugesagt, eine Voreinschätzung zur Milieuschutzsatzung durchführen zu lassen. Konkret soll ein Büro mit einer Voreinschätzung zur Tübinger Südstadt und der möglichen Aufstellung einer sozialen Erhaltungssatzung beauftragt werden. Das Büro soll dann seine erste Einschätzung im Planungsausschuss darlegen.

Was würde es bedeuten, wenn bestimmte Quartiere als schutzwürdig eingestuft werden?

Das Ziel der Satzung ist es, ein bestimmtes lokales Milieu zu schützen, also die gebietsansässige Wohnbevölkerung in ihrer aktuellen Zusammensetzung zu erhalten. Geschützt werden sollen die Bewohnenden vor der systematischen baulichen Aufwertung ihres Quartiers. Diese hätte nämlich stark steigende Mieten zur Folge, die sich die aktuelle Bevölkerung nicht leisten könnte und daher verdrängt würde.

Wie kann das verhindert werden?

Wenn ein Quartier und seine Bevölkerung als schutzwürdig eingestuft werden, so sind bestimmte bauliche Maßnahmen genehmigungsbedürftig durch die Kommune. Dies gilt für Modernisierungsmaßnahmen (Luxussanierungen), Rückbau (also Abbruch oder Teilabbruch), die Umnutzung von Miet‐ in Eigentumswohnungen und auch von Wohnfläche in Gewerbefläche und die Veränderung der Wohnfläche einer Wohnung (also Teilung von Wohnungen oder Zusammenlegen). Zudem kann beim Verkauf von Wohngebäuden die Stadt ein Vorverkaufsrecht geltend machen. Wichtig ist dabei, dass die baulichen Maßnahmen nicht verboten sind, sondern genehmigungspflichtig. Explizit ausgenommen von der Regelung (also genehmigungsfrei) sind Instandhaltungsarbeiten.

Was bringt das alles?

In schutzwürdigen Quartieren wird der vorhandene Wohnungsbestand gesichert und Verdrängung so erschwert bzw. verlangsamt. Die Mieten in dem Quartier können trotzdem erhöht werden, allerdings nicht so drastisch und schnell, wie dies durch bestimmte Baumaßnahmen möglich wäre. Beispiele aus anderen Städten wie Stuttgart, München, Frankfurt, Köln, etc. zeigen, dass die Milieuschutzsatzung zwar kein Allheilmittel für Wohnprobleme ist, aber ein nützliches baurechtliches Instrument, das in Kombination mit anderen Maßnahmen positiv auf einen angespannten Wohnungsmarkt einwirken kann.

Daher sehen wir Milieuschutzsatzungen für verschiedene Tübinger Quartiere als einen wichtigen Bestandteil, unsere Stadt jetzt und in Zukunft für alle, die dort wohnen und wohnen wollen, lebenswert und erschwinglich zu gestalten.