Die Siggi11 in der Sigwartstraße 11 in Tübingen ist seit dem 29.9.2024 in den oberen Stockwerken besetzt. Im Erdgeschoss wohnen weiterhin Bewohner*innen und kämpfen mit mietrechtlichen Mitteln gegen auslaufende grundlos befristete Mietverträge und für bezahlbaren Wohnraum (das Tagblatt berichtete am 26.7.2024). Unterstützung erhalten die Bewohner*innen von der Tübinger Studierendenschaft und von Tübinger selbstverwalteten Wohnprojekten. Als Wohnraumbündnis Tübingen sind wir solidarisch mit der Besetzung und den sich wehrenden Bewohner*innen.

Das Land sorgt für Leerstand
Das Grundstück und Haus gehören seit knapp 40 Jahren dem Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg (VBA) und wurde als studentischer Wohnraum verwaltet und vermietet. Dabei wurden zwar Mieten eingenommen, jedoch nichts für die Instandhaltung des Hauses getan. Ohne einen erkennbaren Plan für das Haus zu verfolgen, wurden in den letzten Jahren und Monaten systematisch Zimmer nicht vermietet und bestehende Mietverhältnisse mit teilweise fadenscheinigen Begründungen nicht weitergeführt. Bereits seit 2022 standen zunächst 4, dann 8 Zimmer leer. Ab dem 1. Oktober sollte das gesamte Haus leerstehen. Erst danach sollten eine mögliche Sanierung, Abriss oder Neubau geprüft werden. Das VBA hatte im Frühjahr versucht, das Haus und seine Verwaltung auszulagern. Universitätsklinikum Tübingen, Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim, Universität und zuletzt die Stadt zeigten kein Interesse an der Nutzung. Konkrete Pläne und Kapazitäten zur Gebäudenutzung durch das VBA scheinen demnach nicht vorzuliegen. Gesprächsangebote von Seiten des Vereins der letzten Bewohner*innen der Siggi11 mit dem Ziel bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, wurden bis zur Besetzung jedoch vonseiten des VBA ignoriert. „Wir verstehen nicht, dass pünktlich zum Semesterbeginn das VBA in Vertretung des Landes Baden Württemberg plant, zwölf zentral gelegene und bezahlbare Zimmer dem Tübinger Wohnungsmarkt zu entziehen. Dass ein staatlicher Akteur dieses ohne einen Folgeplan und in Missachtung des Tübinger Zweckentfremdungsverbots durchführt, ist Menschen die händeringend nach einem Zimmer suchen nicht vermittelbar.“ sagte die Besetzerin Paula Nohaus. Die Besetzer*innen befürchten, dass in den nächsten Wochen Maßnahmen geplant waren, die eine weitere Bewohnbarkeit des Gebäudes erschweren oder sogar verhindern würden und der Leerstand so auf Jahre bestehen bleiben würde.

Leerstand von Wohnraum in Tübingen
Seit Jahren weist das Wohnraumbündnis Tübingen auf den angespannten Tübinger Wohnungsmarkt und zahlreiche leerstehende Gebäude und Wohnungen hin (zuletzt mit Fotoausstellung und Podiumsdiskussion). Aktuell sind mindestens 60 dauerhafte Leerstände von gesamten Gebäuden bekannt und dokumentiert. Laut einer Analyse des Pestel-Instituts sind rund 3960 Wohnungen im Landkreis Tübingen ungenutzt, circa 2220 stehen seit mindestens einem Jahr leer und sind oftmals sanierungsbedürftig . Mit dem vom Gemeinderat 2016 erlassenen Zweckentfremdungsverbot kann die Stadtverwaltung wenigstens gegen neue Leerstände nach 2016 vorgehen. Auch gegen diese Leerstände nach 2016 wird selten mit Bußgeldverfahren vorgegangen. So ist fraglich, ob die Praxis der Nichtvermietung der Sigwartstraße 11 in den vergangenen zwei Jahren durch das VBA nicht einen Verstoß gegen die Zweckentfremdungssatzung darstellte. Mehrere Tübinger Hausbesetzungen, z. B. Wielandshöhe (2016), Ob dem Viehweidle (2018), Hotel Hospiz (2018), Gartensia (2019) und nun die Siggi11 (2024) prangerten diesen Missstand in den vergangenen Jahren an.

Bezahlbaren, studentischen Wohnraum erhalten statt Leerstand
Die Besetzer*innen und solidarisierten Bewohner*innen der Siggi11 möchten auf den dramatischen Tübinger Wohnungsmarkt aufmerksam machen. Sie fordern vom Land, einen Abriss des Gebäudes auszuschließen sowie direkte Gespräche über einen Verkauf der Liegenschaft oder eine Überlassung des Grundstücks im Rahmen einer Erbpachtregelung an einen Bewohner*innen-Verein. Ihrer Meinung nach kann nur ein solcher Verein die zukünftige Vermietung der vorhandenen zwölf Zimmer zu sozialen und bezahlbaren Konditionen garantieren. „Dass es selbst ein Landesamt hier nicht schafft, Wohnraum zu erhalten, ist ein Skandal. Deswegen unterstützen wir einen Hauskauf im Rahmen des Mietshäuser-Syndikats. In Tübingen zeigen selbstverwaltete Wohnprojekte, dass es möglich ist, selbstverwaltet Wohnraum zu organisieren und dass Wohnen günstig sein kann“, schließt Besetzerin Mira Evyok.

Dass das Land und Landesinstitutionen durch fehlende Instandhaltung nicht nur in diesem Fall (siehe Münzgasse13) für den Verfall der Bausubstanz und nun Leerstand von Wohnraum sorgen, ist nicht akzeptabel. Als Wohnraumbündnis fordern wir das VBA zu Gesprächen mit den Bestzer*innen und zur Erhaltung bezahlbaren und Schaffung selbstverwalteten Wohnraums auf. Vonseiten der Stadt und auf Landesebene gilt es, die Tübinger Zweckentfremdungssatzung noch konsequenter umzusetzen. Wir fordern:

  • die Legalisierung von Instandbesetzungen vernachlässigter Leerstände.
  • Vormundschaften im Falle von längerem Leerstand und Zweckentfremdung, um Wohnraum wieder bewohnbar zu machen.
  • Enteignungen und Überführung in Gemeineigentum bei langjährigem Leerstand.
  • Änderung des Zweckentfremdungsgesetzes auf Landesebene, sodass auch Leerstände, die schon vor Inkrafttreten des Gesetzes bzw. darauf beruhender kommunaler Zweckentfremdungsverbote bestanden, sowie der mutwillige Wegfall der Bewohnbarkeit durch Verfall, geahndet werden können.
  • Ahndung mutwilligen Verfalls durch fehlende Instandhaltung von Gebäuden.

Links:
Website der Siggi11 mit ausführlicher Pressemitteilung http://www.siggi11.info/