Am Dienstag, den 17.10.2023 fand unsere Podiumsdiskussion „Was tun gegen jahrelangen Leerstand von Wohnraum in Tübingen?“ mit Cord Soehlke (Baubürgermeister), Winfried Kropp (Mieterbund Bodensee) und Ernst Gumrich (ehemaliger Stadtrat) statt. Leider konnte Cindy Holmberg (Landtag Baden-Württemberg, u.a. Sprecherin für Bauen & Wohnen der GRÜNEN), die wir als landespolitische Vertreterin eingeladen hatten, aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen. Sie hatte sich aber dankenswerterweise bereit erklärt, unsere Fragen an sie nachträglich schriftlich zu beantworten. Wie bereits auf dem Podium angekündigt, veröffentlichen wir nun unsere Fragen und die Antworten von Frau Holmberg:

1. Wie schätzen Sie das Problem der Leerstände von Wohnraum in Baden-Württemberg ein?

Leerstand bedeutet, ein Gebäude wird nicht genutzt. Das ist zunächst ein Problem, besonders angesichts des großen Wohnraummangels. Wichtig finde ich, das gleichzeitig auch als große Chance zu sehen. Ökologisch, sozial, und auch städtebaulich, wenn ungenutzte Gebäude wieder lebendig werden. Da ist Potenzial, was wir heben können, ohne neu bauen zu müssen und neue Flächen zu versiegeln.

In Baden-Württemberg wurden im Rahmen der Datenerhebung 2011 etwa 200.000 leerstehende Wohnungen gezählt – das waren etwa 4% aller erfassten Wohnungen. Die Quote ist je nach Gemeinde sehr unterschiedlich. In kleineren Gemeinden und auf dem Land gibt es oft mehr Leerstand als in den Städten. Neuere Daten sind für den Sommer 2024 angekündigt. 200.000 Wohnungen sind in Baden-Württemberg eine sehr relevante Zahl und eine große Chance aus meiner Sicht. Unser Ziel ist, diese Zahl zu verringern.

2. Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Landespolitik da einzugreifen?

Wie gesagt, Leerstand ist eine Chance für uns in Baden-Württemberg. Wie bei vielen Themen kann die Landespolitik hier „fördern und fordern“. Mit der Städtebauförderung können Kommunen dafür sorgen, dass leerstehende Gebäude modernisiert und wieder genutzt werden können. Damit soll an erster Stelle Wohnraum entstehen. Auch die Landeswohnraumförderung gibt Zuschussförderungen, wenn aus leerstehenden Wohnungen Sozialwohnungen entstehen. Das Land hat außerdem eine „Wiedervermietungsprämie“ auf den Weg gebracht. Damit können wir Kommunen unterstützen, die sich darum kümmern, dass leerstehende Wohnungen wieder neu vermietet werden. In den letzten Jahren konnten damit immerhin knapp 400 Wohnungen aktiviert werden. Es gibt ein weiteres Förderprogramm: „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ fördert unter anderem Konzepte zur Aktivierung von Leerstand.

Mit dem „Zweckentfremdungsverbot“ haben Städte und Gemeinden ein weiteres Instrument in der Hand, mit dem sie dafür sorgen können, dass vorhandene Wohnungen auch als solche genutzt werden, und nicht „zweckentfremdet“. Wenn Wohnungen überwiegend anders genutzt werden sollen oder leer stehen, braucht es dann eine Genehmigung.

Seit knapp einem Jahr gibt es in Baden-Württemberg eine Beratungsprämie für Menschen, die sich vorstellen können, aus ihrem zu groß gewordenen Haus zwei oder mehr Wohnungen zu machen. Das kann auch helfen, Potenzial in schon bestehenden Gebäuden für Wohnraum zu heben und sie besser zu nutzen. Das Programm wurde bereits gut angenommen und wird fortgesetzt.

Das Baugesetzbuch, das im Bund beschlossen wird, enthält seit 2021 einige Paragraphen, die es für Kommunen leichter machen, ungenutzte Grundstücke im Innenbereich zu erwerben und damit dafür zu sorgen, dass dort Wohnraum entstehen kann. Baden-Württemberg hat durch eine Rechtsverordnung festgelegt, in welchen Kommunen dies angewendet werden kann: Das sind Kommunen mit „angespanntem Wohnungsmarkt“, also da, wo der Wohnraumbedarf nochmal besonders ausgeprägt ist.

In der Politik haben wir außer „fördern“ und „fordern“ noch eine weitere wichtige Aufgabe und das ist Bewusstsein schaffen. Ich setze mich als Landtagsabgeordnete auf Veranstaltungen und in Gesprächen dafür ein, dass das Bewusstsein bei allen Akteur*innen für diese Chance des Leerstands noch stärker wird.


3. Ein Thema auf dem Podium war die Lücke im Zweckentfremdungsverbotsgesetz BW , die darin besteht, dass dieses nicht auf ‚Altbestände‘, die also schon vor Erlass des Gesetzes existierten, anwendbar ist und diese damit teilweise seit vielen Jahren legal leer stehen. Von Herrn Kropp vom Mieterbund Konstanz wurde die Möglichkeit angesprochen, dass diese Lücke auf dem juristischen Weg ‚gefüllt‘ werden könnte. Unsere Frage an Sie: Gibt es da Initiativen in der Landespolitik diese Lücke durch ein entsprechendes Gesetz politisch zu füllen? Warum existiert die Lücke überhaupt noch?

Weil es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken dagegen gibt. Das Gesetz regelt aktuell Leerstände ab dem 19. Dezember 2013. Von dieser Rückwirkungsmöglichkeit haben die wenigen Städte, die eine Zweckentfremdungsverbotssatzung erlassen haben, keinen Gebrauch gemacht. Zu einer noch weitergehenden Rückwirkungsmöglichkeit hat das Ministerium intensive Gespräche mit den Kommunalen Landesverbänden, Städten und Verbänden geführt. Die Städte und der Städtetag sehen keinen Bedarf an einer noch weitergehenden Rückwirkungsregelung. Ohne dass der Bedarf nach einer solchen Regelung ausreichend begründet wird, wäre eine weitergehende Rückwirkungsmöglichkeit verfassungsrechtlich bedenklich. Das Justizministerium und der Städtetag beurteilen das ebenso.


4. Was ist Ihre Zukunftsperspektive für die Leerstandsproblematik / Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Seit der Corona-Pandemie ist der Bedarf nach Büroflächen gesunken, weil viele Menschen weiter gerne Homeoffice machen. Hier besteht eine große Chance, Wohnraum zu schaffen ohne neu bauen zu müssen. Eine 2021 veröffentlichte Studie hat berechnet, dass in Deutschland durch Umwandlung von Büros bis 2025 ca. 235.000 Wohnungen entstehen könnten. Eine weitere Studie aus dem letzten Jahr hat ebenfalls bestätigt, das hier ein großes Potenzial besteht und dass sich das auch finanziell lohnt: Die Kosten für die Umnutzung von Büros zu Wohnraum sind in den Metropolen im Schnitt um fast 50 Prozent niedriger als im Neubau. Zudem entsteht weniger CO2. Oft gibt es noch technische und rechtliche Hürden und Bedenken, diese Chance zu nutzen. Wir als Grüne Fraktion setzen uns dafür ein, dass es leichter wird, Büroflächen in Wohnraum umzuwandeln.

Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft Leerstand wirksamer langfristig verhindern. Bei neuen Gebäuden ist es dafür zum Beispiel sinnvoll, Flexibilität einzubauen. Das heißt, so zu bauen, dass Gebäude auch verändert werden können, wenn sich der „Wohnbedarf“ ändert. Also dass zum Beispiel leichter Wohnungen geteilt oder verbunden werden können, je nach dem wieviele Personen darin leben. Das hilft, dass Wohnungen besser zum Bedarf passen und gut genutzt werden können.

Durch eine gemeinwohlorientierte Dorf- und Stadtentwicklung mit lebendigen Quartieren und Gemeinden auch in ländlichen Gebieten machen und halten wir Orte attraktiv. Auch das hilft dabei, dass erst gar kein Leerstand entsteht.