Hier unser Redebeitrag auf der Kundgebung zum Cyber Valley/Amazon auf dem Tübinger Holzmarkt am 16.2.19:

Hallo zusammen,

ich möchte zunächst kurz zurückblicken: Bei der Kundgebung im November haben wir einen Redebeitrag gehalten, den wir auch als Brandbrief veröffentlicht haben. Darin haben wir gefragt, ob in Tübingen eine Situation droht, wie sie im kalifornischen Silicon Valley Alltag ist, wo seit 40 Jahren die Mietpreise in absurde Höhen steigen. Während die hochbezahlten Manager keine Probleme haben, können auch viele aus der sogenannten Mittelschicht die dortigen Mietpreise nicht mehr bezahlen. Und die Konkurrenz um Wohnungen wird noch dadurch befeuert, dass die Gründer kleiner Start Up-Unternehmen dorthin strömen.

Wir haben in unserem Brandbrief gefragt:

Wenn in Tübingen vom Cyber Valley gesprochen und geträumt wird, möchten
wir wissen, wie sich 3.500 neue Arbeitsplätze, die Ansiedlung von Konzernen wie Amazon und der Zuzug von Start-Up-Gründern auf die Wohnsituation in Tübingen auswirken wird. Wir wollten wir von den Verantwortlichen wissen, wo und wie die Angestellten und Forscher*innen von Amazon, Bosch, den Autokonzernen und dem Max-Planck-Institut wohnen sollen. Und wo sollen die Start-Up-Gründer unterkommen, die vom Cyber Valley nach Tübingen gelockt werden? Wo sollen sie ihre Start Ups entwickeln, wo sollen sie wohnen?
Wir haben gefragt: Wie schützen Stadtverwaltung und Gemeinderat die Mieter*innen in Tübingen und der Region vor explodierenden Mieten, vor Umwandlung von Wohnraum in Gewerbeflächen (z.B. für Start-Up-Unternehmen) und vor Verdrängung?

Offensichtlich haben wir damit einen empfindlichen Nerv getroffen:
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gemeinderat hat uns eine Mail geschrieben, ebenso wie Oberbürgermeister Palmer.
Und die Univerwaltung hat mit einer Presseerklärung reagiert. Darin schreiben sie, dass in der Zahl von bis zu 3.500 Beschäftigten schon bis zu 1.100 Personen einberechnet seien, die derzeit bereits im Technologiepark arbeiten. Darüber hinaus würde in der Diskussion oft ausgeblendet, dass Arbeitsplätze teilweise innerhalb von Tübingen verlagert werden. So werde die Universität große Teile der Informatik vom Standort „Sand“ in den Technologiepark verlagern.

Soweit also die etwas genaueren Zahlen, danke für die Antworten.

Tatsache ist, dass wir es trotzdem mit einer nicht kleinen Zahl von neuen Arbeitsplätzen und mit dem Zuzug von Personen zu tun haben, die für Miete mehr ausgeben können als die fast 40% der Tübinger Bevölkerung, die laut aktuellem Wohnraumbericht der Stadtverwaltung Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein haben.

Insofern vermuten wir, dass es in den nächsten Jahren noch einige Wohnungsgesuche geben wird, wie die beiden folgenden, die wir in den letzten Tagen gefunden haben:

– „Forscher-Paar sucht Wohnung Tü-WHO/Wanne/Lustnau (Nähe MPI), gesichertes EK“

– „Ruhige Akademikerin, Festanstellung [sucht] … Kaltmiete bis 900 €“

Auf dem Tübinger Wohnungsmarkt besteht sowieso schon eine riesige Konkurrenz v.a. durch Studierenden-WGs, die für Vermieter lukrativer sind als Familien oder Altmieter*innen.
Wir erleben das beispielhaft etwa beim Mobbing der Familie Ehing durch die Tübinger Immobilienfirma SZS in der Ulrichstraße.
Mit dem Programm „Fairer Wohnen“ hat der Gemeinderat Maßnahmen beschlossen, die es tatsächlich schaffen könnten, den Anstieg der Mietpreise in den nächsten Jahren zu dämpfen.
Den Anstieg zu dämpfen, nicht zu verhindern!

Um Wohnraum wirklich wieder bezahlbar zu machen und Wohnen als Grundrecht zu etablieren, nicht als Ware auf dem Immobilienmarkt, bräuchte es tatsächlich mehr als faire kommunale Programme.

In Berlin und davon ausgehend auch in deutschlandweiten Debatten macht derzeit ein Bürgerbegehren Furore. Es lautet: Immobilienkonzerne enteignen!
Dieser Forderung schließen sich derzeit immer mehr Menschen an – nicht nur die betroffenen Mieter*innen in Häusern der Immobilienkonzerne Deutsche Wohnen oder der Vonovia, von denen es auch in Tübingen einige gibt.

Die Zeit ist wohl noch nicht reif, aber wir glauben, dass es bald noch mehr Menschen einsehen werden: Nicht nur die Immobilienkonzerne gehören aufgelöst, sondern auch die Internetkonzerne.

Insofern schließen wir als Wohnraumbündnis uns der Forderung an: Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia enteignen!
Und wir kündigen schon mal an, dass wir auch dabei sind, wenn es an die Enteignung der Internetkonzerne geht.

Bis dahin noch ein paar konkrete Forderungen für jetzt:

– Wenn die Universität den Standort „Sand“ aufgibt, muss dort bezahlbarer Wohnraum entstehen! Wir fordern Universität, Stadt und Land auf, das jetzt in die Wege zu leiten. Z.B. könnte hier eine sozial-ökologische Nachbarschaft nach dem Neustart-Modell entstehen!

– Den Gemeinderat fordern wir auf, städtische Flächen nicht mehr zu verkaufen, sondern in Erbpacht oder mit Rückkaufsrecht zu vergeben. Das würde auch für das Grundstück gelten, das Amazon haben möchte.

– Und die Zivilgesellschaft fordern wir auf:
Errichtet doch auf dem Grundstück ein unabhängiges, kritisches Forschungs- und Begegnungs-Labor.
Dann kann sich dort – anstatt mit der Verbesserung von Kundenerlebnissen – mit wirklich wichtigen Fragen beschäftigt werden: Z.B. wie Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zur Lösung der Wohnraumkrise, der Klimazerstörung und der Überwindung des Kapitalismus beitragen können.

Die Aussicht ist wunderschön dort oben und Kaffee kann doch nicht nur Amazon ausschenken, oder?

Vielen Dank.